Ist eine Kalorie gar keine Kalorie? Reality-Check
Johannes Steinhart, Biomedizin (M.Sc.) & Trainer des Deutschen Fitnesslehrer Vereinigung e.V.
Immer wieder hört und liest man: “Eine Kalorie ist überhaupt gar keine Kalorie.”
Diese Behauptung ist jedoch mit Sicherheit falsch. 1 kcal ist genau so 1 kcal, wie 1 kg 1 kg oder 1 m 1 m ist.
Behauptungen, eine Maßeinheit sei nicht identisch mit sich selbst, strapazieren jedes normal funktionierende Gehirn auf bedenkliche Weise.
“Aber damit ist doch etwas ganz anderes gemeint!”, werden nun manche empört rufen. Kleiner Tipp: Wenn man etwas anderes meint, dann drückt man es am besten so aus, dass man versteht, was gemeint ist.
Wenn man meint, dass Diäten mit mehr Protein oft besser zum Abnehmen und Gewicht halten funktionieren1Leidy HJ, Clifton PM, Astrup A, Wycherley TP, Westerterp-Plantenga MS, Luscombe-Marsh ND, Woods SC, Mattes RD. The role of protein in weight loss and maintenance. Am J Clin Nutr. 2015 Jun;101(6):1320S-1329S. Epub 2015 Apr 29. PubMed PMID: 25926512. 2Campos-Nonato I, Hernandez L, Barquera S. Effect of a High-Protein Diet versus Standard-Protein Diet on Weight Loss and Biomarkers of Metabolic Syndrome: A Randomized Clinical Trial. Obes Facts. 2017;10(3):238–251. doi:10.1159/0004714853Buchholz AC, Schoeller DA. Is a calorie a calorie? Am J Clin Nutr. 2004 May;79(5):899S-906S. Review. PubMed PMID: 15113737. (gute Diäten in diesem Artikel) oder, dass aufgenommene Kalorien aus Eiweiß, Fett, oder Kohlenhydraten …
- … unterschiedlich zu Sättigung & Appetit beitragen (mehr),
- … nicht 1:1 den Zahlen auf den Nährwertangaben entsprechen,
- … den Energieverbrauch unterschiedlich beeinflussen (mehr),
- … zu unterschiedlichen Insulin- oder anderen Hormonreaktionen führen,
… dann sollte man bitte auch einfach genau das sagen.
Es besteht noch lange kein Grund, eine Dummheit wie 1 Kalorie sei keine Kalorie von sich zu geben.
Ich verstehe, der Wunsch, unterschiedliche Erfahrungen mit Diäten oder Ernährungsformen irgendwie erklären zu könne. Doch absolut nichts deutet darauf hin, dass aufgenommene Energie verschwinden könnte.
Was sagt uns ein Blick in die Wissenschaft? Professor Lean et al. schreiben 2018 im “British Medical Journal”: 4Lean MEJ, Astrup A, Roberts SB. Making progress on the global crisis of obesity and weight management. BMJ. 2018 Jun 13;361:k2538. doi: 10.1136/bmj.k2538. PubMed PMID: 29898885; PubMed Central PMCID: PMC5997033.
Was steht dort?
- Die Kalorienbilanz hat immer Gültigkeit.
- Übergewicht / Fettleibigkeit entwickelt sich, wenn aufgenommene Kalorien den Verbrauch überschreiten.
Energie in Form von Kalorien kann nicht verschwinden, lediglich umgewandelt werden (Energieerhaltungssatz). Beispielsweise in Wärmeenergie, Bewegungsenergie oder aber sie wird erst einmal für spätere Verwendungszwecke in Form von Fett oder Glykogen gespeichert.
Das gilt natürlich auch für den menschlichen Körper. Noch haben wir es nicht geschafft uns über Naturgesetze hinwegzusetzen.
Natürlich gibt es Unterschiede bei der Verdauung oder Aufnahme von Nahrung. Ebenso benötigen unterschiedliche Stoffwechselwege unterschiedlich viel Energie.
Doch 1.) sind diese Details mit dem Blick auf das große Ganze relativ unbedeutend und 2.) noch lange kein Grund zu behaupten, eine Kalorie sei keine Kalorie.
Essen übergewichtige Menschen eigentlich gar nicht zu viel?
Dünne und dicke Menschen nehmen Gewicht zu, wenn sie mehr essen, als sie verbrauchen. Die Gewichtszunahme ist direkt proportional zur Kalorienzufuhr.5Forbes GB. Do obese individuals gain weight more easily than nonobese individuals? Am J Clin Nutr. 1990 Aug;52(2):224-7. PubMed PMID: 2197850.
Die allermeisten fettleibigen Menschen konsumieren regelmäßig 20-35% mehr Kalorien als schlanke Menschen.6DeLany JP, Kelley DE, Hames KC, Jakicic JM, Goodpaster BH. High energy expenditure masks low physical activity in obesity. Int J Obes (Lond). 2013 Jul;37(7):1006-11. doi: 10.1038/ijo.2012.172. Epub 2012 Oct 23. PubMed PMID: 23090575; PubMed Central PMCID: PMC4879834. Das ist nun einfach mal Fakt. Warum das so ist, und ob das mit fehlender Willenskraft oder der Genetik zu tun hat, steht auf einem anderen Blatt.
Übergewichtige Menschen essen also mehr als Normalgewichtige. Andere Ergebnisse sieht man nur dann, wenn die Kalorienzufuhr nicht streng gemessen wurde, sondern auf Selbstauskunft beruht. Menschen mit höherem BMI geben ihre Kalorienzufuhr oft 30-40% zu niedrig an.7Heitmann BL, Lissner L. Dietary underreporting by obese individuals–is it specific or non-specific? BMJ. 1995 Oct 14;311(7011):986-9. PubMed PMID: 7580640; PubMed Central PMCID: PMC2550989.
Lässt sich unser großes Problem des Übergewichts mit Kalorien erklären?
Seit den 80er Jahren haben wir einen massiven Zuwachs an Übergewicht und Fettleibigkeit in der westlichen Welt. Heute sind in Deutschland schon mehr als 50% übergewichtig oder fettleibig.
Auch hier ist neben zurückgehender körperlicher Bewegung schlicht eine höhere Kalorienzufuhr am Werke (siehe Bild). Von allem konsumieren wir heute mehr, vor allem von Fett UND Kohlenhydraten.
Nichts gibt uns Anlass zu vermuten, dass unser Körper außerhalb von physikalischen Naturgesetzen wie dem Energieerhaltungssatz funktioniert. Das wäre natürlich angenehm. Aber dann könnten wir auch fliegen.
Stellen wir uns vor, 1 Kalorie wäre nur ½ Kalorie. Dann könnten wir doppelt so viel essen, ohne zuznehmen.
Wenn dann aber noch 1 Meter nur ⅓ Meter wäre und 1 km in Wahrheit nur 250 Meter, dann ginge es ja drunter und drüber. Wo kämen wir denn da hin?
Den Luxus von Wunschdenken und emotionaler Beweisführung können wir uns nicht leisten, sofern wir uns noch mit der Realität auseinandersetzen wollen. Denn dies ist generell der Weg der geringeren Enttäuschungen und der Möglichkeit, Probleme direkt anzugehen und mit der Zeit tatsächlich zu überwinden.
Es ist faktisch auch nicht hilfreich, provokante und logisch falsche Sätze aufzustellen, nur weil man irgendwas grob in dieser Richtung ausdrücken möchte.
1 Kalorie ist 1 Kalorie.
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Über den Autor
Johannes Steinhart ist Master of Science (M.Sc.) in Biomedizin & Ernährungswissenschaften sowie Fitnesstrainer der Deutschen Fitnesslehrer Vereinigung (DFLV). Seine Passion ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse zu Abnehmen, Muskelaufbau und Gesundheit unabhängig, verständlich und praxisnah darzustellen und verbreitete Unwahrheiten zurückzudrängen. Johannes ist Gründer von science-fitness.de (SF). Jedes Jahr erreicht er über 2 Mio. Leser. Außerdem ist er Autor von aktuell 6 Büchern. Mehr.
Hi
ich habe zu den verlinkten Studien Fragen.
Bei Referenz 5 lautet eurer Satz, dass Übergewichtige direkt proportional zur Nahrungsaufnahme zunehmen.
Die Studie sagt aber doch genau das Gegenteil?
Nämlich das Dicke mehr (1,7x so viel) essen müssen als Dünne und dann trotzdem mehr Fettmasse zunehmen als Dünne, welche Magermasse zunehmen.
Demnach dürfte es doch rückwärts (also zum Abnehmen), sei es durch Insulinsensitivität, Leptinresistenz, Hunger oder Sonstiges auch doppelt so schwer sein für einen Dicken das Gewicht wieder zur reduzieren oder nicht?
Zitat:
It is apparent that body fat is a more important determinant of the energy cost of weight gain than is LBM.
Bei Referenz 6 lautet euer Satz, dass Übergewichtige 20-30% mehr Kalorien zu sich nehmen als Schlanke. Die Studie die ihr verlinkt hat bespricht den Energieverbrauch durch Aktivität und das dieser höher ist, da Dicke mehr Gewicht rumtragen aber im Mittel gleich ist, da Sie sich weniger bewegen.
Wie ist dies zu verstehen? Das hat doch nichts miteinander zu tun?
Zeigt diese Studie https://academic.oup.com/ajcn/article/83/4/803/4649149 nicht, dass die Kalorie eben nur die thermodynamische Einheit ist und eben nichts mit der Zu oder Abnahme einer Person zu tun hat?
Die Insulinsensitivität scheint hier ja DER entscheidende Faktor zu sein um Gewichtszu- oder abnahme zu erklären!
Zitat:
They do, however, suggest that differences in handling of excess CHO during inactive periods could be important for gain of weight and fat mass.
Wäre nett wenn ihr das erläutern könnt.
Ich gehe jeden der Punkte mal in einem eigenen Kommentar an.
Also bei Referenz 5 bezog ich mich auf den Satz: „indeed the combined data from several controlled experiments show that weight gain is directly proportional to the total excess energy consumed, although there is considerable interindividual variability (4).“ beziehen. Das wird allerdings in (4) besser gezeigt als in Ref 5 ersichtlich ist.
Zudem sehe ich die Fig. 2 in der Ref 5 mit Vorsicht. Die Korrelation von r = 0.47 ist moderat. Und wenn man sich die Extreme < 10% KFA (anorektische Frauen) und extreme Adipositas > 40 % KFA wegdenkt, hat man eine keinen wirklich linearen Zusammenhang mehr zwischen der initialen Fettmasse und den benötigten kcal/g Zunahme. Was dann so viel bedeutet wie: innerhalb von 10-40 % nehmen alle ungefähr mit 7 (+/- 2) kcal pro Gramm zu.
Etwas komplizierter Gedankengang. Könnte das bestimmt noch präziser darstellen. Ich denke jedoch, die Kernaussage ist begründbar.
Irgendwie scheint Ihr die einzigen zu sein, die sich mit dem Abnehm-Thema wirklich auskennen. Es gibt im Internet dutzende nutzlose, überwiegend deutsche Seiten mit psdeuwissenschaftlichem Geschwafel, dass mir übel wird. Danke dafür, Daumen hoch und bitte weiter so! :-)